Probieren und Studieren |
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Beim Erfinden neuer technischer Geräte hat das alte Sprichwort eine besondere Daseinsberechtigung, wonach Probieren über Studieren geht. Seit hunderten von Jahren haben nicht nur Tüftler, sondern auch ernstzunehmende Wissenschaftler ihre Zeitgenossen immer wieder mit Entwürfen für neue Maschinen überrascht, die jedoch häufig den Nachteil hatten, nur auf dem Papier zu funktionieren. Papier ist bekanntermaßen geduldig. Mit dem Bleistift lässt sich beinahe jede Idee zeichnerisch umsetzen, und argumentativ lässt sie sich auch mit “Leben” erfüllen. Die heutigen Möglichkeiten, Zeichnungen computergestützt zu animieren, sind für Erfinder faszinierend, aber die bewegten Bilder sind eine Scheinwelt und gaukeln nur vor, was ihr Schöpfer sehen will. Mit dem Internet ist es in Mode gekommen, sich in Foren unter anderem über alternative Antriebe, freie Energie usw. auszutauschen, dabei die eigenen Ideen vorzustellen und sie leidenschaftlich zu diskutieren. Manche tun das über längere Zeiträume mit wachsendem Eifer und geraten dabei gelegentlich auch in Streit, wenn die anderen Forumsteilnehmer die eigenen Konzepte partout nicht akzeptieren wollen und deshalb die Bewunderung ausbleibt, die sich der Schöpfer insgeheim erhofft hatte. Dabei hätte er seine Zeit viel besser nutzen können, wenn er statt langer theoretischer Erörterungen eine experimentelle Überprüfung seiner Ideen vorgenommen hätte. Denn wie heißt es schon im Faust: “Grau, teurer Freund, ist alle Theorie.” Das Experimentieren ist stattdessen im Einzelfall nichts anderes als eine Frage an die Natur, ob das in der Phantasie erschaffene Konzept auf die physikalische Realität übertragbar ist oder nicht. Eine weitere Personengruppe stellen “die Gelehrten” dar. Sie lassen sich erst gar nicht auf Diskussionen ein, sondern dozieren ihren jeweiligen Standpunkt mit einer unerschütterlichen Überzeugung, die Zweifel nicht zulässt und daher einen experimentellen Nachweis aus ihrer Sicht überflüssig macht. Sie suchen ihre Argumente nur widerwillig bei den etablierten Wissenschaften, liefern ansonsten aber Berechnungen und Skizzen, die äußerste analytische Ernsthaftigkeit vermitteln sollen. Die Leser reagieren differenziert. Einige sind beeindruckt, andere neigen zur Skepsis und wieder andere zeigen deutlich ihre Ablehnung. Gemeinsamer Nenner ist der Umstand, dass die Dinge sich ausschließlich in einem geistigen Universum abspielen, von wo aus sie lediglich in die reale Welt projiziert werden. Der Natur wird dabei oft nur eine Scheinmitsprache eingeräumt, was regelmäßig zu einem jähen Erwachen führt, wenn für aufgestellte Behauptungen doch ausnahmsweise der Beweis im Physikalischen Universum angetreten werden soll. Spätestens seit Hegel gilt auch für Philosophen: “Hic Rhodus, hic salta!” Die Bücher, die sich mit “Freier Energie” beschäftigen und Konstruktionszeichnungen, Bauvorschläge, Ideen usw. anbieten, wie man unkonventionell Energie erzeugen oder sonst nutzbar machen könnte, sind inzwischen kaum noch überschaubar. Man hat gelegentlich den Eindruck, dass einer beim anderen abschreibt und dass zahlreiche Konzepte noch nie praktisch erprobt wurden. Der interessierte Leser ist deshalb in der Regel überfordert, im Vorfeld bereits einschätzen zu können, mit welcher Sache man sich vielleicht intensiver beschäftigen könnte und was von den Vorschlägen einfach nur Humbug ist. Allen ist gemeinsam, dass der ”große Knaller” anscheinend bisher nicht dabei war. Andernfalls hätte eine breitere Öffentlichkeit schon längst davon Kenntnis genommen. Der Umstand, dass Wind- und Sonnenenergie in immer größerem Umfang genutzt werden, zeigt, dass nicht mehr nur auf fossile Brennstoffe oder Kernkraft gesetzt wird und dass man bereit ist, nach Alternativen Ausschau zu halten. Sofern es denn neue Wege gäbe, bei denen der Nutzen in einem akzeptablen Verhältnis zu den Kosten stünde, würden sie von innovationsfreudigen Leuten auch getestet und ggf. genutzt werden. Zurück zu den Erfindern. Ob eine neue Maschine auch in der Realität das macht, was sie soll, lässt sich zwar prinzipiell vorher berechnen, aber häufig werden dabei nicht sämtliche maßgebenden Faktoren berücksichtigt. Wenn es denn so war, dass bei Besslers Gravitationsantrieb 8 bzw. 16 Gewichte derart bewegt wurden, dass ein fortwährendes Ungleichgewicht herrschte, dürften die mathematischen Zusammenhänge durch die Dynamik des sich drehenden Rades so komplex sein, dass auch ein erfahrener Ingenieur ins Schwitzen käme. Wenn man vorher alles auf einfache Weise berechnen könnte, bräuchte die Automobilindustrie für ihre Neuentwicklungen zum Beispiel keine Teststrecken. Letztlich entscheidet die Natur. Sie zeigt den sprichwörtlichen und häufig ernüchternden Unterschied zwischen Theorie und Praxis auf. Da ihre Gesetzmäßigkeiten nicht immer umfassend bedacht werden oder sogar im Einzelfall unbekannt sind, kommt ein ernsthafter Erfinder gar nicht umhin, neben seiner theoretisch-schöpferischen Tätigkeit auch praktisch zu experimentieren. Manche glauben jedoch, das nicht nötig zu haben, oder sie verspüren eine starke Abneigung dagegen, sich mit den Niederungen handwerklicher Arbeit zu beschäftigen. So hat zum Beispiel auch Leonardo da Vinci Zeichnungen von Perpetua Mobilia veröffentlicht, die er in der Praxis nie überprüft hatte. Bei späteren Nachbauten zeigte sich, dass sie nicht funktionierten. Weil da Vinci ein außergewöhnlich begabter Mensch war, hat das seinem Ruf jedoch nicht geschadet. Personen, die ein Perpetuum Mobile erfinden möchten, sind gelegentlich von einer Art Virus gepackt. Ihre Absichten und ihre durch Begeisterung gekennzeichneten Aktivitäten werden trotz gelegentlichen Kopfschüttelns ihrer Zeitgenossen als sozial empfunden, denn die Menschheit hätte im Erfolgsfalle großen Nutzen davon. Etwas differenzierter betrachtet man die, die den Beweis für ihre aufgestellte Behauptung schuldig bleiben, sie hätten ihre Idee bereits praktisch umgesetzt und ihre Erfindung funktioniere bestens. Sie sind sehr um Anerkennung bemüht und schicken Hochglanzfotos, die jedoch die Lauffähigkeit nicht belegen und bestehende Zweifel nicht ausräumen. Wenn man ihre Maschine live in Aktion sehen möchte, stellen sie sich taub. Bittet man um ein Video, liefern sie etwas ab, das entweder wegen seiner Kürze keine Beurteilung zulässt, oder bei dem eine fremde Energiezufuhr geschickt getarnt wurde. Die Zahl dieser Personen ist gering, und bei einigen hat man sogar den Eindruck, dass sie zumindest zeitweilig selbst glauben, was sie sagen. Sie leiden möglicherweise unter einem größeren Realitätsverlust und wollen sich ihr Scheitern nicht eingestehen. Es soll sogar Menschen gegeben haben, die sich selbst das Leben nahmen, weil sie ihre Erfolglosigkeit beim Erfinden eines Perpetuum Mobiles nicht konfrontieren konnten. Jemand, der das Besslerrad neu erfinden möchte, ist den Zwängen des Experimentierens in besonderem Maße unterworfen, da nach herrschender Meinung Besslers Erfindung gar nicht funktionieren konnte. Die Beschäftigung mit dieser Sache gilt daher bei Physikern als Betätigung für Verrückte. Wer von der Gesellschaft ernstgenommen werden möchte, kommt also nicht umhin, den experimentellen Nachweis für die Funktionsfähigkeit seiner Erfindung zu erbringen. Selbst dann könnte es ihm passieren, dass er von den Autoritäten ignoriert wird. Schließlich mögen sie es nicht, ins Unrecht gesetzt zu werden. Der Erfinder könnte sich also genötigt sehen, seine Anerkennung mittels einer guten Medienkampagne zu erzwingen. Die Medien würden sich seiner natürlich nur annehmen, wenn er ein funktionierendes Gerät vorweisen könnte. Am besten eines, dessen Prinzip alle verstehen. Ohne sachbezogenes Experimentieren geht es also nicht. Dabei findet unter den Erfindern jedoch sehr schnell eine Auslese statt. So mancher überaus begabter Theoretiker hat für praktische Tätigkeiten “zwei linke Hände”. Nicht jedem schöpferischen Geist ist es in die Wiege gelegt, sich virtuos mit Hammer oder Säge zu beschäftigen. Und weil das so ist, sind vermutlich viele gute Ideen bis heute niemals realisiert worden. Aber auch Erfinder mit ausgeprägten praktischen Talenten scheitern mitunter an fehlenden Materialien, an mangelnder Ausrüstung oder auch schlicht an der nötigen Zeit. So ist ein bestimmtes Detail der Erfindung möglicherweise in wenigen Minuten gezeichnet, aber es dauert Tage oder Wochen, es in der Realität herzustellen. Gelegentlich ist etwas auch gar nicht herstellbar, oder es sind spezielle Fertigkeiten im Schweißen, Drehen, Fräsen usw. erforderlich, über die ein normaler Heimwerker nicht verfügt. Und um die Sache als Prototyp professionell herstellen zu lassen, mangelt es dem Erfinder oft auch an Geld. Hinzu kommt beim Einschalten von Profis das Risiko, dass die Erfindung in falsche Hände geraten kann, bevor sie patentrechtlich geschützt ist. So beschränkt sich die übergroße Mehrheit der Erfindungen unserer Tage auf die Forschungsergebnisse industrieller oder universitärer Einrichtungen, die nicht nur materiell und personell ganz anders ausgestattet sind, sondern auch finanziell die Möglichkeit haben, Erfindungen bis zur Serienreife zu bringen. Da sich jedoch kein Wissenschaftler oder Ingenieur zum Gespött seiner Kollegen machen möchte, ist das Besslerrad als Forschungsobjekt für Universität und Industrie gleichermaßen tabu. Und das ist vermutlich der Hauptgrund, warum es während eines Zeitraums von über 300 Jahren in puncto Bessler praktisch keine Bewegung mehr gegeben hat. Wenn es also überhaupt jemandem gelingen sollte, Besslers Geheimnis zu lüften, dann wahrscheinlich einem Laien. Das mag bedauerlich sein, weil man nicht abschätzen kann, wann das der Fall sein wird. Aber es ist zugleich eine Ermutigung für jeden Hobbyerfinder, sich damit zu beschäftigen, denn er hat unverändert alle Chancen, im Erfolgsfalle zumindest den Ruhm zu ernten. In dem Maße, wie der Personenkreis wächst, der sich mit Bessler beschäftigt, nimmt jedenfalls die Wahrscheinlichkeit zu, dass das Prinzip seines Rades wiederentdeckt werden wird. Lassen Sie uns deshalb bei jeder Gelegenheit dafür werben.
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