Zeitzeugen

Die zum Teil abweichenden  Beschreibungen der Zeugen ergeben sich aus der Tatsache, dass sie zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Ausführungen des Bessler-Rades gesehen haben.

Moritz Wilhelm

Herzog von Sachsen-Zeitz

   (1664-1718)

Kupferstich von Johannes Andreas

Pfeffel, entstanden um 1717

Als Bessler sich in Draschwitz (bei Zeitz) aufhielt, wurde alsbald auch Moritz Wilhelm auf ihn aufmerksam, denn der Ort gehörte zu seinem Herzogtum. Die Nachricht vom “Perpetuum Mobile” hatte sich schnell herumgesprochen. Im Zeitzer Hofdiarium ist nachzulesen, dass Moritz Wilhelm am 14. Juli 1714 in Draschwitz war, um Bessler einen Besuch abzustatten und um dessen Erfindung in Augenschein zu nehmen.

Bessler, der auf einem Rittergut untergekommen war, führte bereitwillig sein neues Rad vor. Der Herzog war beeindruckt und empfand Stolz, dass diese ungewöhnliche Maschine ausgerechnet auf seinem Territorium entwickelt worden war. Voller Bewunderung sorgte er nun dafür, dass das Besslerrad in den gebildeten Kreisen der Gesellschaft bekannt wurde. Bereits wenige Tage später informierte er den Mathematiker Leibniz.


Moritz Wilhelm wird gelegentlich mit dem gleichnamigen Herzog von Sachsen-Merseburg verwechselt. (Siehe weiter unten.)

 

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), Mathematiker und Philosoph

Portrait von Bernhard Christoph Francke, entstanden um 1700

Bei ihm handelt es sich um den prominentesten Zeitzeugen. Er ist über alle Zweifel erhaben und war als Erfinder einer mechanischen Rechenmachine Fachmann genug, einen Schwindel auszuschließen. Vom 22. Oktober bis zum 23. November 1714 hielt er sich auf Einladung des Herzogs Moritz Wilhelm von Sachsen-Zeitz in dessen Residenzschloss auf und machte von dort aus einen Besuch bei Bessler im nahe gelegenen Draschwitz. Anfänglich recht skeptisch staunte er nicht schlecht, dass dieses Rad sich während seiner Anwesenheit unablässig mit gleichbleibender Geschwindigkeit drehte. Leibniz war so beeindruckt, dass er u.a. Landgraf Karl von Hessen-Cassel über das Rad informierte. Auf eine ergangene Einladung von Karl siedelte Bessler 1716 nach Cassel um und baute dort ein neues Rad, das auf Schloss Weißenstein einen 54-tägigen Dauertest absolvierte. 

Die Moritzburg in Zeitz. Links der Dom, im Hintergrund das Schloss. Auf Einladung von Herzog Moritz Wilhelm hielt sich Leibniz mehrfach hier auf. Unter anderem im Herbst 1714, um im nahegelegenen Draschwitz das Besslerrad zu besichtigen.

Leibniz berichtete: “Orffyreus gehört zu meinen Freunden. Er gestattete mir vor einiger Zeit, mit seiner Maschine verschiedene Experimente durchzuführen. Während meiner Anwesenheit lief sie 2 Stunden ununterbrochen und demonstrierte eine beachtliche Kraft. Diese Maschine ist etwas ganz Besonderes, und wir sollten nicht übersehen, dass sie zu beachtlichem Wohle eingesetzt werden kann.”

Er dachte dabei insbesondere an die Entwässerung von Bergwerken. Volllaufende Stollen waren zur damaligen Zeit ein nahezu unlösbares Problem. Da Dampfmaschine und Elektromotor noch nicht erfunden waren, blieb zum Abpumpen prinzipiell nur die Muskelkraft von Mensch oder Tier. Man hatte zwar Windmühlen, aber diese waren windabhängig und mussten natürlich oberirdisch aufgestellt werden. Dadurch ergab sich die Notwendigkeit einer vertikalen Kraftübertragung über längere Distanz. Etwas, das die damalige Technik nur mit erheblichen Schwierigkeiten und Verlusten bewerkstelligen konnte. Das Besslerrad hätte stattdessen auch unterirdisch funktioniert.

Leibniz war übrigens nicht jemand, der im Elfenbeinturm saß und als Schöngeist den Bezug zur Welt verloren hatte. Ganz im Gegenteil, er hatte ausgeprägte praktische Talente. Auf ihn geht zum Beispiel die erste mechanische Rechenmaschine zurück, die alle vier Grundrechenarten beherrschte. Die Multiplikation funktionierte auf der Basis wiederholter Addition und die Division bewerkstelligte er durch wiederholte Subtraktion. Die Mechanik dafür war sehr aufwändig. Leibniz hatte also eine gute Realität über die Materialien, Werkzeuge und Tätigkeiten eines damaligen Maschinenbauers.  

Johann Andreas Weiße, Bezirksmagistrat Merseburg
Weiße war bei der öffentlichen Prüfung von Merseburg im Jahr 1715 von Herzog Moritz Wilhelm beauftragt worden, (offenbar unabhängig von der Kommission) ein Protokoll zu führen. Diese Aufzeichnung ist der Nachwelt erhalten geblieben und wird im Archiv der Universitätsbibliothek Kassel aufbewahrt. Die Formulierungen sind sehr geschraubt und waren sicher die Vorläufer des heutigen Amtsdeutschs. Sie wurden vom Verfasser in die Gegenwartssprache “übersetzt”. Einige unverständliche Floskeln wurden dabei weggelassen.  

Ich, Johann Andreas Weiße, zur Zeit hier bestallter Amtmann, habe diese Urkunde gefertigt und bestätige folgendes: Ich hatte den Befehl erhalten, mich nebst den hiesigen Landes-Gerichts-Personen auf den so genannten Grünen Hof zu begeben, um der für heute angesetzten Untersuchung des von Herrn Orffyreo erfundenen Perpetuum Mobiles beizuwohnen und alles, was dabei vorgehen und experimentiert werden würde, genauestens schriftlich festzuhalten. Ich habe mich also mit den Gerichts-Personen dort hinbegeben und der Untersuchung im Beisein vieler berühmter Wissenschaftler und anderer vornehmer Personen von Anfang bis Ende beigewohnt.

Nachdem uns der Erfinder zunächst überall herumgeführt und uns deutlich  gezeigt hatte, dass sein Perpetuum Mobile nirgendwo auf verborgene Art angetrieben sein konnte, setzte er es, ungefähr 6 Ellen im Durchmesser und einen Schuh breit, in Bewegung. Dies geschah mit wenig Kraft und nur solange, bis das erste Gewicht im Inneren heruntergefallen war. Danach setzte es sich selbst heftig in Bewegung und drehte sich 40 mal und mehr in der Minute. Nur mit großer Kraft konnte es wieder angehalten werden. Er ließ es etliche Male links- und rechtsherum laufen und befestigte dann an der Achswelle ein Seil, das er zum Fenster hinaus führte. An diesen Strang ließ er einen Kasten voller Ziegelsteine hängen, etwa 70 Pfund schwer, der mehrere Male hinaufgezogen und wieder hinabgelassen wurde. Sodann schaffte der Herr Erfinder seine Maschine in Anwesenheit aller Zuschauer auf eine andere Stellage und ließ dabei die Achszapfen von den hierzu beauftragten Kommissionsmitgliedern sowie von mir und den Gerichts-Personen gründlich untersuchen. Bei dieser Besichtigung konnte nicht die geringste Unregelmäßigkeit festgestellt werden. Er versetzte seine Maschine sodann mit der bereits geschilderten gleichen geringen Kraftanstrengung wieder in schnelle Bewegung, Dieser Sachverhalt wurde von den anwesenden Wissenschaftlern und den anderen Schaulustigen bewundernd zur Kenntnis genommen und ausdrücklich bestätigt. Damit wurde die Erfindung von jedem Verdacht oder Zweifel gänzlich befreit. Auf Ersuchen wird diese Tatsache durch das aufgedrückte Fürstliche Sächsische Amtssiegel sowie durch meine eigenhändige Unterschrift als Amtmann ausdrücklich bescheinigt.
So geschehen Merseburg, den 31. Oktober 1715.”
 

Anmerkung:
Der Duden enthält den Begriff  “Gerichtsperson” nicht mehr, er ist jedoch unverändert ein Sprachbestandteil Österreichs sowie der deutschsprachigen Schweiz und bezeichnet das Mitglied eines Gerichts (Richter, Schöffe, Geschworener usw.). Was man damals genau darunter verstand, ist unklar. Wahrscheinlich hatte Moritz Wilhelm Angehörige der Merseburger Gerichtsbarkeit beauftragt, gleichfalls der Vorführung beizuwohnen, um damit die Unparteilichkeit der Überprüfung deutlich zu machen.         

Das aus dem Fenster geführte Seil und der daran hängende Holzkasten sind Bestandteil des auf der Startseite zu sehenden Holzschnittes. Man hatte zu diesem Zweck auf dem Grünen Hof in Merseburg eine Seilrolle an einem Dachsparren befestigt. Gemäß den Zeugenberichten war das andere Ende des Seils direkt um die Achse des Rades gewickelt. Dass der Winkel des Seils insoweit nicht korrekt wiedergegeben wird, liegt daran, dass das Rad der Startseite Teil eines größeren Holzschnittes ist, auf dem es ein zweites Mal in Seitenansicht dargestellt wird (siehe Roteinfärbung). Nach erfolgter Umlenkung über eine am Boden befestigte Rolle wickelt sich das Seil um die Achse dieser Seitenansicht.

Die auf dem linken Teil dargestellte Seitenansicht enthält auch das Pochwerk, das unter der Bezeichnung “Stampfhölzer” im folgenden Bericht des Gottfried Teuber beschrieben ist. Der Holzschnitt ist somit keine bildliche Dokumentation des in Merseburg überprüften Rades. Gleiches gilt für die Pendel, die in keinem einzigen Zeugenbericht erwähnt werden. Möglicherweise handelte es sich dabei um eine Spielerei Besslers, oder sie wurden in künstlerischer Freiheit der Zeichnung hinzugefügt. Später wurde gelegentlich behauptet, die Pendel hätten dazu gedient, das Rad auszutarieren oder einen gleichmäßigen Lauf zu garantieren. Beides macht jedoch nicht viel Sinn. Eine störende Unwucht hätte man viel einfacher mit zusätzlichen, fest angeordneten Massen beseitigen können. Da unter Last eine geringere Drehzahl zu verzeichnen war, hätte das Pendel als eigenes schwingungsfähiges System den Ablauf behindert. Im Beitrag “Spekulationen” wird darauf eingegangen.

Heute existiert der “Grüne Hof” nicht mehr. Er wurde in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu Zeiten der DDR im Zuge der Stadterneuerung komplett abgerissen. An seiner Stelle steht inzwischen das rechts abgebildete Herder-Gymnasium. Für Bewunderer Besslers aber dennoch ein denkwürdiger Ort. Schließlich ist seine Erfindung durch die Überprüfung von 1715 als “Merseburger Rad” in die Geschichte eingegangen. 

Merseburg ist überhaupt eine reizvolle Stadt. Wer als Tourist Halle an der Saale besichtigt, sollte auf jeden Fall genügend Zeit mitbringen, um der etwas südlich gelegenen Domstadt Merseburg einen Besuch abzustatten. Merseburg ist die Stadt der Zaubersprüche. Die Geschichte des Doms beinhaltet auch die Rabensage, die auf Bischof Thilo von Trotha zurückgeht. 

Der im Bericht des Amtmannes Weiße erwähnte “Grüne Hof” war der Ort an dem die Überprüfung durchgeführt wurde. Es handelte sich um einen Gebäudekomplex, der sich in der Nähe der Sixtikirche in der Leunaer Straße 6 befand. Er wurde im 17. Jahrhundert errichtet und war ein großes Grundstück mit Wohnhaus, Nebengebäuden, Scheunen, Ställen usw. Links eine Zeichnung aus dem “Merseburger Kreiskalender” von 1940. Sie wurde freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Historischen Stadtarchiv Merseburg. Es heißt dort u.a.:
“Vor dem Sixtitor, gegenüber dem Stadtfriedhof, liegt seit alten Tagen der “Grüne Hof”. Dieses Grundstück wird schon in mittelalterlicher Zeit urkundlich erwähnt. Ein Bürger unserer Stadt, Johannes Andreas, verkaufte es 1350 samt dem anliegenden “Großen Hof” an das Sixtistift. Freilich standen damals noch nicht die verschiedenen Gebäude, die wir heute dort erblicken. Sie fehlen sogar noch auf den um 1630 von Dilich und um 1650 von Merian gezeichneten Ansichten der Stadt Merseburg. Etwas Genaueres über den “Grünen Hof” erfahren wir erst aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. In dieser Zeit hat Günther von Grießheim das Haus (und vermutlich auch die Nebengebäude) errichten lassen. In dem alten Brunnen steht auf einem Stein die Jahreszahl 1668. Wahrscheinlich ist damals der Bau zur Ausführung gekom- men. Die Grießheims waren während der Herzogszeit eine angesehene Adelsfamilie in Merseburg.”    

Hier ein Foto der in der Nähe befindlichen Sixti-Kirche. Sie wurde im 11. Jahrhundert erbaut, im Dreißigjährigen Krieg zerstört und danach nie wieder aufgebaut. Zu Besslers Zeiten war sie also bereits eine Ruine. Der Turm dient seit 1889 als Wasserspeicher.

Weitere Zeitzeugen:

Gottfried Teuber (1656-1731), Zeitzer Hofdiakon und Magister
”Es handelt sich um ein hohles Holzrad, 10 Fuß im Durchmesser und 6 Zoll dick. Es wird von dünnen Holzbrettern bedeckt, die den inneren Mechanismus verbergen. Die Achse ist auch aus Holz und ragt auf beiden Seiten einen Fuß über das Rad hinaus. Sie hat Zähne, die 3 Stampfhölzer bewegen, ähnlich wie man sie in Stampfmühlen findet. Diese Stampfhölzer sind recht schwer, und sie werden unablässig angehoben und wieder fallen gelassen. Die eisernen Achszapfen drehen sich in offenen Lagern, so dass man einen Betrug durch äußere Energiezuführung ausschließen kann.

Ich hatte mit dem Erfinder ein Treffen vereinbart. Als wir uns der Maschine näherten, konnte ich sehen, dass das Rad mit einem dicken Seil arretiert war. Sobald das Seil gelöst wurde, begann sich die Maschine mit großer Kraft zu drehen. Für längere Zeit hat sie ihr Tempo weder beschleunigt noch verlangsamt. Um sie wieder anzuhalten, war große Kraft erforderlich.”

Johann Christian Wolff (1679-1754), Professor für Mathematik und Philosophie in Halle

Wolff schrieb in einem Brief an Leibniz: “Als Orffyreus seine außergewöhnliche Maschine ausstellte, um den bösartigen Betrugsgerüchten entgegenzutreten, bin ich ganz bewusst dabei gewesen. Die Realität zeigte, dass sein Rad weit entfernt von jeglicher Täuschung ist. Die Untersuchung wurde im Beisein von Beauftragten des Herzogs sowie anderen Gästen durchgeführt. Als die Maschine bereit war, sich in Bewegung zu setzen, wurden alle angrenzenden Räume geöffnet und die Abdeckung der Lager wurde vollständig entfernt. Um zu verhindern, dass jemand zufällig den Mechanismus seines Rades sehen konnte, bedeckte ihn Bessler. Während er das tat, machte er kein Geheimnis daraus, dass die Maschine von Gewichten angetrieben wurde. Einige dieser Gewichte, die er in ein Tuch eingehüllt hatte, ließ er uns in die Hand nehmen, um ihr Gewicht zu schätzen. Jedes wog etwa 4 Pfund und hatte eindeutig eine zylindrische Form.

Ich ziehe daraus, aber auch aus anderen Umständen, den Schluss,  dass die Gewichte mit beweglichen oder elastischen Armen am äußeren Rand des Rades verbunden waren. Während sich das Rad drehte, konnte man deutlich hören, wie die Gewichte gegen hölzerne Wände stießen. Durch einen Schlitz konnte ich diese Wände sehen. Sie waren leicht geschwungen. Als er das Rad an eine andere Stelle brachte und die Gewichte wieder einsetzte, drückte er eine eiserne Feder hinunter, die bei ihrer anschließenden Rückkehr nach oben ein lautes Geräusch von sich gab.”

Professor Christian Wolff war ab 1710 Mitglied der “Royal Society” und hatte ab 1711 dieselbe Eigenschaft bei der “Berliner Akademie der Wissenschaften”. Also ein intellektuelles Schwergewicht.
        
Joseph Emanuel Fischer von Erlach (1693-1742), österreichischer Architekt
”Obwohl ich Dingen, die ich nicht verstehe, misstrauisch gegenüberstehe, muss ich Ihnen versichern, dass ich keinen Grund erkennen kann, warum diese Maschine nicht die Bezeichnung “Perpetuum Mobile” tragen sollte. Jedenfalls habe ich gute Gründe zu glauben, dass es sich um Derartiges handelt, denn mir wurde erlaubt, einige Experimente damit zu machen. Es handelt sich um ein Rad mit etwa 12 Fuß Durchmesser, das von einem Wachstuch bedeckt wird. Bei jeder Drehung des Rades können vermutlich 8 Gewichte wahrgenommen werden, die jeweils auf der Seite nach unten fallen, nach der sich das Rad aktuell dreht. Es dreht sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit, etwa 26 Umdrehungen pro Minute im Leerlauf. Wenn die Achse mit einem Seil und einer archimedischen Schraube verbunden wird, um Wasser nach oben zu pumpen, sind es noch 20 Umdrehungen pro Minute. Ich habe das mehrmals mit meiner Uhr überprüft, und es war stets dasselbe Ergebnis. Ich habe das Rad dann unter großen Schwierigkeiten mit beiden Händen an seinem äußeren Umfang angehalten. Der Versuch, es plötzlich zu stoppen, würde einen Mann vom Boden abheben lassen.

Wenn man es auf diese Weise gestoppt hatte, blieb es still stehen. Ich habe das Rad dann wieder ganz langsam in Bewegung gesetzt, um zu sehen, ob es selbständig zu seiner alten Geschwindigkeit zurückkehren würde. Ich bezweifelte es, denn ich nahm an, dass man dem Rad einen hohen Startimpuls geben müsste. Aber zu meinem Erstaunen wurde es schneller und schneller. Nach zwei Umdrehungen hatte es wieder das alte Tempo erreicht. Es erreichte die alten 26 Umdrehungen pro Minute im Leerlauf und 20 Umdrehungen, wenn es mit der Wasserschraube verbunden war.     

Diese Tatsache, dass das Rad nach einem leichten Stoß von einer sehr langsamen Bewegung zu schneller Rotation beschleunigte, überzeugt mich mehr, dass es sich um ein Perpetuum Mobile handelte, als wenn ich es ein ganzes Jahr in Bewegung gesehen hätte. Statt also durch Luftwiderstand und Reibung langsam seine Geschwindigkeit zu verringern, wurde es immer schneller. Ich kann nicht sehen, wie jemand diese Sache anzweifeln sollte. Anschließend habe ich die Drehrichtung umgekehrt, und das Rad zeigte dieselben Ergebnisse. Dann prüfte ich die Lager, um zu sehen, ob es dort irgendwelche Merkwürdigkeiten gab. Aber außer den beiden kleinen Lagern,  an denen das Rad in seinem Mittelpunkt aufgehängt war, konnte ich nichts finden.”

Willem Jacob ‘sGravesande (1688-1742), niederländischer Mathematiker

‘sGravesande war Professor an der Universität Leiden/Niederlande und Mitglied der “Royal Society” von London, deren Präsident Isaac Newton war. Auf ‘sGravesande geht u.a. der erste experimentelle Nachweis der Ausdehnung sich erwärmender Metalle zurück. Eine Londoner Interessengemeinschaft, (vermutl. die Royal Society selbst), beauftragte ihn, bei Bessler einen Besuch zu machen, um das Rad zu inspizieren und um mögliche Kaufverhandlungen vorzubereiten. Man vermutet, dass Newton der eigentliche Initiator war, aber selbst nicht in Erscheinung treten wollte. Dieser beschäftigte sich u.a. mit den Gesetzmäßigkeiten der Gravitation und war an der Funktion des Besslerrades sicher sehr interessiert. Es ist ein Brief überliefert, den ‘sGravesande am 7.8.1721 an Isaac Newton schrieb:

”Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich Ihnen einen Bericht über die von mir vorgenommene Prüfung übersende. Ich berichte Ihnen die Details dessen, was eine äußere Besichtigung der Maschine ergeben hat. Dabei bin ich mir bewusst, dass die Dinge höchst umstritten sind, denn schließlich  sind fast alle Wissenschaftler dagegen. Die Mehrheit hält jedenfalls daran fest, dass eine ewige Bewegung unmöglich ist. Dies ist vermutlich der Grund, warum der Erfindung des Orffyreus so wenig Aufmerk- samkeit zuteil wird.

Was mich angeht, der unbedeutend ist verglichen mit der großen Zahl derer, die diese Unmöglichkeit demonstriert haben, möchte ich Ihnen meine Eindrücke schildern, als ich mit der Prüfung begann. Es scheint mir so zu sein, dass Leibniz irrte, als er die Unmöglichkeit ewiger Bewegung als Axiom niederschrieb. Ungeachtet dieser Annahme war ich davon überzeugt, dass Orffyreus weit davon entfernt sein würde, eine solche Entdeckung machen zu können. Insbesondere deshalb, weil es zuvor nie Erfindungen in dieser Richtung gegeben hatte. Nachdem ich aber nun diese Prüfung vorgenommen habe, muss ich mein ausdrückliches Erstaunen zum Ausdruck bringen.

Der Erfinder ist talentiert, aber er ist weit davon entfernt, ein ernsthafter Wissenschaftler zu sein. Und trotzdem besitzt diese Maschine etwas ganz Erstaunliches, auch wenn es eigentlich unmöglich ist. Es folgt nun eine Beschreibung der äußeren Teile. In das Innere lässt der Erfinder niemanden sehen, damit sein Geheimnis nicht gestohlen werden kann.               

Es ist ein hohles Rad von der Art einer Trommel, etwa 14 Zoll dick und 12 Fuß im Durchmesser. Es ist offenbar leicht, denn es besteht aus mehreren über Kreuz angeordneten Holzbrettern, die in einem Rahmen zusammengefasst sind. Das Ganze ist mit Segeltuch bedeckt, um zu verhindern, dass man hineinsehen kann. Durch den Mittelpunkt des Rades geht eine Achse mit einem Durchmesser von etwa 6 Zoll, die an beiden Enden mit eisernen Lagern eines Durchmessers von 3/4 Zoll endet. Ich habe diese Lager untersucht und bin fest davon überzeugt, dass es keine Kraftübertragung von außen gibt, die Ursache der Radbewegung ist.  

Wenn ich es ganz leicht anstieß, blieb es immer wieder stehen, sobald ich meine Hand davon wegnahm. Aber wenn ich es in ein mäßiges Tempo versetzte, konnte ich es nur mit großer Kraft wieder anhalten. Überließ ich es sich selbst, beschleunigte es nach ein oder zwei Umdrehungen bis zu seiner höchsten Geschwindigkeit, die 25-26 Umdrehungen pro Minute betrug.

Diese Bewegung wurde vor einiger Zeit in einem Raum des Schlosses für zwei Monate aufrechterhalten. Die Türen und Fenster dieses Raums waren verschlossen und versiegelt, so dass es keine Möglichkeit des Betruges gab.”

Moritz Wilhelm

Herzog von Sachsen-Merseburg

(1688 -1731)

Copyright: Stadtarchiv Merseburg

Nach dem frühen Tod seines Vaters Christian II. wurde er bereits im Alter von 6 Jahren dritter Herzog von Sachsen-Merseburg und regierte bis 1731. Wegen seiner Liebe zur Musik gab man ihm später den Beinamen “Geigen-Herzog”. Zu seinem Herzogtum gehörten die Ämter Merseburg, Delitzsch, Lauchstädt, Lützen und Schkeuditz. Das Gebiet reichte bis unmittelbar an die Stadtgrenze des damaligen Leipzigs heran. Durch die spätere Ausdehnung von Leipzig ist der ehemalige Zollort Lindenau heute einer seiner Stadtteile.

Moritz Wilhelm wird gelegentlich mit dem gleichnamigen Herzog von Sachsen-Zeitz verwechselt. Letzterer stammte jedoch aus einer anderen Familie und war 24 Jahre älter. Weiter oben wurde über ihn bereits berichtet.

Moritz Wilhelm war ein gebildeter Mann und galt als gütiger Landesvater. Von der Erfindung Besslers war er beeindruckt. Wegen der nicht verstummenden Betrugsvorwürfe ließ er am 31. Oktober 1715 in Merseburg eine öffentliche Prüfung durchführen. Dazu wurde eine Kommission einberufen, die aus angesehenen Persönlichkeiten und berühmten Fachleuten bestand. Neben dem oben bereits erwähnten Christian Wolff waren die nachgenannten fünf Personen die bekanntesten Kommissionsmitglieder:
Friederich Hoffmann (1660 - 1742), Medizinprofessor und Gründer der Universität Halle
Von ihm stammt das Konzept, dass der menschliche Körper ein mechanisches System ist, das sich in ständiger Bewegung befindet. Möglicherweise eine Inspiration durch die intensive Beschäftigung mit Besslers Erfindung.
Johann Burkhard Mencke (1674 - 1732), Geschichtsprofessor an der Universität Leipzig,
Christoph Semler (1669 - 1740), Gründer der ersten deutschen Realschule,
Christoph Buchta, Berater am Hofe des Herzogs und Freund von Leibniz,
Johann Adam Caff, Sächsisch-Weißfenfelsischer Landbaumeister und Ingenieur

Der in der Biographie zitierte Bericht aus Zedlers historischem Universallexikon über die “öffentliche Probe” von Merseburg enthält die Namen aller Kommissionsmitglieder. (Siehe dort.) 

Landgraf Karl

 von Hessen-Cassel

 (1654-1730)

Landgraf Karl - Kupferstich von Schenk

Landgraf Karl war absoluter Herrscher und aufgeklärter Landesvater zugleich. Er hat unter seiner Regentschaft die allgemeine Schulpflicht eingeführt und den Hugenotten in größerer Zahl eine neue Heimat gegeben. Als Förderer Johann Besslers, dem er 1716 auf Schloss Weißenstein Zuflucht gewährte, war er der einzige, den der Erfinder je in sein Geheimnis einweihte. Karl hatte das Prinzip bei seiner Inaugenscheinnahme sofort verstanden und sich verwundert geäußert, dass bei seiner verblüffenden Einfachheit zuvor noch kein anderer darauf gekommen war. Ohne das ihm anvertraute Geheimnis je zu verraten, soll er bei späterer Gelegenheit gesagt haben, dass das Innere des Rades lediglich aus einer simplen Anordnung von Hebeln und Gewichten bestanden hätte.

Unter einem authentischen Gesichtspunkt ist Karl der wichtigste Zeuge, denn er hatte Gewissheit darüber, dass das Besslerrad tatsächlich so funktionierte, wie es von seinem Erfinder immer propagiert worden war. Sein Verlangen, den Mechanismus sehen zu dürfen, war vermutlich weniger Ausdruck von Neugierde oder Sensationslust, es dürfte vielmehr das Bedürfnis gewesen sein, sich ein eigenes Bild von der Vertrauenswürdigkeit Besslers zu machen. Er hätte ihn nie über so viele Jahre unterstützt, wenn es einen Rest von Zweifel gegeben hätte.

Der Name “Weißenstein” rührte von einem großen hellen Felsen her, der bereits im 12. Jahrhundert bei der Namensgebung des zu dieser Zeit erbauten Klosters Weißenstein Pate stand. Dieses Gebäude wurde 1610 abgerissen und durch das (Jagd-) Schloss Weißenstein ersetzt. Zur Zeit von Landgraf Karl erfreute es sich großer Beliebtheit, doch ab 1786 musste es abermals einem Neubau weichen. Es entstand das heute noch existierende Schloss Wilhelmshöhe.

Zeichnung von Johann Heinrich Müntz (1727-1789). Auf der rechten Seite Schloss Weißenstein, im Hintergrund der ab 1701 auf Weisung von Karl erbaute “Herkules” mit den vorgelagerten Kaskaden. Der Bergrücken wurde später in “Karlsberg” umbenannt.

Gemälde von Johann Erdmann Hummel (1798-1852). Es zeigt Schloss Wilhelmshöhe, das nun den Platz des abgerissenen Schlosses Weißenstein einnimmt. Die Position des Beobachters ist im Vergleich zum letzten Bild etwas weiter rechts. Im Hintergrund unverkennbar der Herkules. Die Errichtung des mehrteiligen Gebäudes erfolgte zur Zeit von Landgraf Wilhelm IX. (1743-1821). (Daher der Name des neuen Schlosses.) Napoleon III. lebte hier ab 1870 im Exil. Angeblich entstand wegen dieses Sachverhalts die im Volksmund verbreitete Redensart: “Ab nach Kassel !”

Geschichtliches:
Da Landgraf Karl die bedeutendste Rolle in Besslers Leben spielte, heute aber kaum noch jemand eine Vorstellung davon hat, was sich mit dem Begriff “Hessen-Cassel” verband, kann sich der Leser bei Interesse nachfolgend etwas über die Geschichte dieser Landgrafschaft informieren.

Cassel war seit 1277 die historische Hauptstadt Hessens. Nach dem Tod Landgraf Philipps I., (“dem Großmütigen”), wurde Hessen im Jahr 1567 unter seinen vier Söhnen aufgeteilt. Es entstanden die Landgrafschaften Hessen-Cassel, Hessen-Darmstadt, Hessen-Marburg und Hessen-Rheinfels. Die letzten zwei wurden später unter den ersten beiden aufgeteilt, nachdem es keine weiteren Nachkommen mehr gab. Wegen der Aufteilung von Hessen-Marburg kam es 1604 zwischen Hessen-Cassel und Hessen-Darmstadt zu Streitigkeiten. Vordergründiger Auslöser waren die unterschiedlichen Konfessionen. Während sich Hessen-Darmstadt zu Luther bekannte, hatte sich Hessen-Cassel für den Calvinismus entschieden. Der verstorbene Landgraf Ludwig IV. von Hessen-Marburg hatte es jedoch testamentarisch zur Bedingung gemacht, dass Marburg lutherisch bleiben müsste. Da Hessen-Cassel diese Bedingung ignorierte, forderte Hessen-Darmstadt in der Folge das gesamte Marburger Erbe für sich ein. Hessen-Cassel kam diesem Ansinnen jedoch nicht nach und setzte damit einen fast 50jährigen Erbschaftsstreit in Gang, der 1645 sogar in den so genannten “Hessen-Krieg” mündete und erst mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) ebenfalls beendet wurde. Hessen-Darmstadt hatte seine Ansprüche militärisch nicht durchsetzen können und gab schließlich auf. Marburg, Kirchhain und Frankenberg blieben bei Hessen-Cassel, Butzbach, Gießen, Grünberg und Alsfeld bei Hessen-Darmstadt.    

In diese Erbstreitigkeiten waren insgesamt drei Landgrafen von Hessen-Cassel verwickelt. Nicht jedoch Karl, denn er trat als Sechster nach Philipp I. seine Regentschaft erst 1670 an. Da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht volljährig war, regierte seine Mutter noch 5 Jahre lang als sein Vormund. Während seine Vorgänger durchschnittlich kaum zwei Jahrzehnte im Amt gewesen waren, regierte Karl ganze 60 Jahre lang. Er hat sein Land in dieser Zeit besonders nachhaltig geprägt. Dass er seine schützende Hand über Bessler hielt, ist nur eines von vielen Beispielen für soziales Engagement während seiner Regierungszeit.

Im Jahr 1803 wurde Hessen-Cassel zu einem Kurfürstentum des “Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation”. Der amtierende Landgraf Wilhelm IX. wurde Kurfürst Wilhelm I. Sein Land trug nun die Bezeichnung “Kurfürstentum Hessen” oder kurz “Kurhessen”.

Durch die Entscheidung Napoleons wurde die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt 1806 zum “Großherzogtum Hessen”. Etwa zeitgleich entstand aus den Fürstentümern Nassau-Usingen und Nassau-Weilburg das “Herzogtum Nassau”, dessen Grenze nördlich des Mains, östlich des Rheins, südlich der Lahn und westlich einer Linie von von Offenbach nach Marburg verlief. Nassau ist ein altes deutsches Adelsgeschlecht, dessen Ursprünge bis ins 10. Jahrhundert zurückreichen. Größere Städte waren Wiesbaden, Limburg und Weilburg. Das “Großherzogtum Hessen”, (Hauptstadt Darmstadt), wurde von Nassau in der Mitte durchschnitten und bestand aus den Provinzen Starkenburg (östlich des Rheins zwischen Main und Neckar) und Oberhessen (Büdingen, Friedberg, Gießen, Grünberg, Alsfeld, Lauterbach). Ab 1816 gehörte auch das linksrheinische Rheinhessen mit Bingen, Mainz, Alzey und Worms noch zu Darmstadt. Hessen gab es also zweimal. Und zwar Kurhessen mit der Hauptstadt Cassel und das Großherzogtum Hessen mit der Hauptstadt Darmstadt.

Nicht lange nach dem Intermezzo der napoleonischen Besatzung wurde Kurhessen als Folge des preußisch-österreichischen Krieges im Jahr 1866 durch Preußen annektiert. Dasselbe Schicksal erlitten das Herzogtum Nassau sowie die Freie Reichsstadt Frankfurt am Main. Sie bildeten gemeinsam die neue preußische Provinz “Hessen-Nassau” mit Cassel als Provinzhauptstadt. Das Großherzogtum Hessen blieb dagegen weitgehend unbehelligt und musste nur kleinere Gebiete an Preußen abtreten. Dieser Rechtszustand dauerte prinzipiell bis 1945 an. In die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen fällt die Umbenennung von Cassel. Im Jahr 1926 wurde das “C” durch ein “K” ersetzt. Die Stadt trägt nun den Namen Kassel. .

Preußen wurde nach dem Ende des 2. Weltkrieges als Sinnbild des deutschen Militarismus durch die Siegermächte zerschlagen. Das ehemalige Hessen-Nassau (Hauptstadt Kassel) ging zusammen mit dem ehemaligen Großherzogtum Hessen (Hauptstadt Darmstadt) in einem neuen “Groß-Hessen” auf, das ab 1946 wieder den ursprünglichen Namen “Hessen” trug. Abgetrennt wurde die Provinz “Rheinhessen”. Sie bildete das Rückgrat für das neue Bundesland “Rheinland-Pfalz”.

Kassel und Darmstadt waren nach fast 400 Jahren nun wieder Teil eines gemeinsamen Landes Hessen. Hauptstadt wurde jedoch keiner von beiden, denn die Wahl fiel auf Wiesbaden. Diese Entscheidung der USA hatte ganz praktische Gründe, denn Wiesbaden war bei Kriegsende noch intakt. Man hatte diese Stadt am Fuße des Taunus während des Krieges verschont, denn für die Zeit nach der Kapitulation Deutschlands brauchte man einen geeigneten Ort, an dem man das amerikanische Hauptquartier einrichten konnte. Kassel, Darmstadt und Frankfurt am Main waren bei Kriegsende stattdessen großflächig zerbombt. Dass Darmstadt nun seine ursprüngliche Bedeutung verloren hatte, machte es den Bewohnern der ehemaligen Landgrafschaft Hessen-Cassel leichter, ihre alten Animositäten gegen die ungeliebten Südhessen aufzugeben. Darmstadt und Kassel sind (neben Gießen) heute Sitz von Regierungspräsidien mit der Funktion hessischer Bezirksregierungen.